ein_schiff_wird_kommen_1992
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+ | Hat die Jugend des Jahres 1991 überhaupt noch einen Bezug zur glorreichen deutschen Schlagervergangenheit? | ||
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+ | Auf den ersten Blick sieht er aus wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Dieser Spargel-Tarzan, | ||
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+ | Immerhin behauptet Remmler, der sich seit seligen Trio-Zeiten als witziger Querulant in der Einöde bundesdeutscher Unterhaltung profiliert hat, er habe auf seinem aktuellen Album mit dem Titel AUF DER SUCHE NACH DEM SCHATZ DER VERLORENEN GEFÜHLE einen wahren Schatz heimischer Schlagerkultur gehoben — nämlich die großen Sentimentalitäten der 50er und 60er Jahre. | ||
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+ | Der Schatz gehörte einst einem Freibeuter der leichten Muße, der sich Freddy Quinn nannte und mit Fernweh und Seemanns-Los als Stimmgabel deutschen Nachkriegsempfindens beachtliche Erfolge verbuchen konnte: Ausgerechnet bei Freddys sehnsuchtstriefenden Songs aus den Jahren von 1956 bis 1964 haben sich Stephan Remmler und seine Schatzsucher bedient — das sogenannte Projekt F wartet mit zwölf Cover-Versionen von Mighty Quinn auf. „Da werden sich bestimmt viele Leute erst einmal die Augen reiben und fragen: Was ist denn das? Kommt uns der Remmler, der sich doch immer so ironisch gab, jetzt tatsächlich absolut ernst und ohne jedes Augenzwinkern?" | ||
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+ | Der Schock ist ganz unsererseits. Denn wer den Stephan bisher lieber als ulkigen Volksbelustiger mit Bierzeltgeruch schätzte, der „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei" philosophierte. der wird schwer am Projekt F zu kauen haben. Aber Remmler macht seit Jahren sowieso, was er will. Ihm ist nun mal „jeder Trend scheißegal", | ||
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+ | Über das Thema F wie Freddy stolperte er dennoch rein zufällig: Im Dezember 1988 fiel ihm in einem Kölner Plattenladen eine CD mit den GREA-TEST HITS des markigen Fernweh-Barden in die Hände. Das brachte den Stein ins Rollen. Man mag das reinen Zufall oder auch göttliche Vorsehung nennen — aber eine glücklichere Fügung ist kaum denkbar. Denn wahrscheinlich konnte nur jemand wie Remmler, einer, der weitab vom Schuß treudeutscher Rockseligkeit und fern der heiligen Troika aus Lindenberg, We-sternhagen und Grönemeyer werkelt, welchletzteren er nur noch „Seine Pünktliche Empörtheit" | ||
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+ | Während die Udo Westernmeyers dieser Republik ihren Fans gerne den sozialdemokratisch getönten Bctroffenheits-Spiegel vorhalten, beschäftigt sich Remmler lieber mit Freddys Seemannsgarn und einem Seesack voller Metaphern aus der Post-Schu-ricke- und Prä-Beatles-Ära: | ||
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+ | Was hat sich Remmler dabei gedacht, als er dieses Schatzkästlein der Gefühlsduselei furchtlos öffnete? „Mich interessieren Begriffe wie Heimat oder Fernweh gar nicht so sehr", betont er. „Mir geht's grundsätzlich um die Gefühle, um die prickelnde Spannung, darum, daß man mit dem Helden leidet und sich mit ihm aufs Happy End freut — so wie in jedem Film mit John Wayne oder von Steven Spielberg." | ||
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+ | Das mit den Emotionen hört sich zwar gut an — aber ist er da nicht auch ganz schön blauäugig? Glaubt er denn ernsthaft, daß die Computer-Kids der 90er Jahre ihre über alles geliebten New Kids On The Block oder die Pet Shop Boys sausen lassen, um sich von ihm ins „Zeitalter der verlorenen Gefühle" | ||
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+ | Den Staub der allzu pathetischen Gefühlsduselei wollte er freilich allemal von den Originalen wischen, um sie so auch der Gegenwart anzupassen. Nur schade, daß die vielbeschworenen großen Gefühle dadurch jetzt durchweg auf musikalischer Sparflamme kochen, daß sie sozusagen aus dem Gefrierschrank kommen. Remmler spricht mehr als daß er singt, und die programmierten Computer-Keyboards wirken so karg, als habe er bewußt Strom sparen wollen. So viel kühle Distanz ist dem Keimen der großen Gefühle doch eher abträglich. | ||
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+ | Immerhin muß man dem musikalischen Nonkonformisten zugute halten, daß er unbeirrt an seiner persönlichen Philosophie des aufrechten Gangs festhält. „Ich bin mit Elvis groß geworden. Doch mit Trio kam ich allmählich auf den Trichter, daß wir letztlich doch nur Klischees wiederkäuen würden, wenn wir immer nur den Rock 'n Roll-Idolen unserer Jugend musikalisch nacheiferten. Wir mußten unsere eigene Form finden. Damals schwebte uns mit Trio eine musikalische Mischung aus Led Zeppelin und den Doobie Brothers vor. Erst als wir unsere eigene Form suchten, beschäftigten wir uns mit der deutschen Musikkultur. Und das fiihrte zu mehr Originalität, | ||
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+ | Fragt sich nur, ob Remmlers Freddy-Trip jemals die gleiche Ehre widerfährt. Skepsis ist trotz aller Anerkennung also durchaus angebracht. | ||
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